Montag, 11. März 2019

Fukuoka - Hiroshima (Miyajima)

Heute sollte einer der bisher schönsten, aber auch anstrengenderen Reisetage bevorstehen. Den bisherigen Schrittrekord hatten wir mit knapp 30.000 zumindest laut Martins Smart-Watch nachweislich aufgestellt. Ursprünglich hatten wir geplant, von Fukuoka nach Hiroshima zu fahren und zuerst dort einen ganzen Tag zu verbringen, ehe wir uns am nächsten Tag zur Insel Miyajima, einen von Japans meistbesuchten Touristenmagneten, aufmachen wollten.
Fukuoka - Hiroshima
Doch aufgrund der bisher sehr verlässlichen Wettervorhersage mussten wir ein wenig umdisponieren, da heute den ganzen Tag traumhafter Sonnenschein und morgen Dauerregen angesagt waren. Da lag es natürlich nahe, gleich heute nach Miyajima zu fahren und den Regentag eher in Hiroshima zu verbringen. Um aber auch in Hiroshima ein paar essenzielle Sehenswürdigkeiten bei Schönwetter mitzunehmen, planten wir einen guten Teil des Vormittags für selbige ein, ehe wir uns auf die 25-minütige Zugfahrt nach Miyajima begaben (ein Dank gilt an dieser Stelle auch Julian, der uns im Speziellen diese Vorgehensweise ans Herz legte – er war vor einigen Jahren mit Eva bereits selbst hier – uns aber auch sonst bei der Reiseplanung stets mit Rat und Tat zur Seite stand und steht).
So hieß es um 5:15 Uhr raus aus den Federn, um den Shinkansen nach Hiroshima um 6:15 Uhr zu erwischen. Die Sonne ging zwar erst auf, doch Wölkchen konnten wir kein einziges am Himmel erkennen, unser Plan schien also aufzugehen. Die Fahrt nach Hiroshima dauerte gut eineinhalb Stunden und verlief wie gewohnt unkompliziert. Am Bahnhof von Hiroshima sprangen wir gleich in die Straßenbahn, die uns zu unserem den Friedenspark überblickenden Hotel brachte. Das Zimmer konnten wir natürlich noch nicht beziehen, war es doch noch nicht einmal 9 Uhr, also gaben wir nur unsere Koffer ab und packten das Notwendigste für den Tag in einen Rucksack.
Wir hatten uns bereits vorab eine Route festgelegt, die uns bis zum späten Vormittag wieder zum Bahnhof zurückführen sollte. Diese startete quasi vor unserer Hotelhaustür beim Friedenspark. Viele assoziieren Hiroshima nur mit einem Ereignis: dem weltweit ersten Atombombenangriff am 6. August 1945. Der Friedenspark der Stadt dient als konstantes Mahnmal für diesen Tag und zieht nicht nur uns, sondern Besucher aus der ganzen Welt an. Inzwischen ist die grüne Metropole mit ihrem entspannt-freundlichem Flair aber längst kein trauriger Ort mehr. Der Park ist von beiden Seiten von Flüssen gesäumt und ein großes, grünes Gelände, das von Spazierwegen durchzogen und mit Denkmälern gespickt ist. Zentrales Element ist der längliche, baumbestandene Friedensteich, der zum Kenotaph führt, einem geschwungenen Betonmonument, das die Namen aller bekannten Opfer der Atombombe enthält.
Kenotaph
Flamme des Friedens
Am Teich steht zudem die Flamme des Friedens, die brennen soll, bis alle Nuklearwaffen der Welt zerstört sind. Wir befürchten, dass wir das Erlöschen dieser Flamme in unserem Leben wohl nicht mehr miterleben werden, vor allem, wenn man sich die jüngsten weltpolitischen Entwicklungen ansieht. Blickt man durch das Kenotaph den Teich hinab, fällt auf, dass es die Flamme des Friedens und den Atombombendom auf der anderen Flussseite umrahmt. Der Park wurde so angelegt, dass diese Elemente eine gerade Linie bilden mit dem Friedensmuseum, das wir uns für den morgigen Regentag aufbehielten, am Südende. Im Norden des Parks erhebt sich das Kinderdenkmal. Die Idee dazu stammt von Sadako Sasaki, die beim Atombombenangriff zwei Jahre alt war. Als das elfjährige Mädchen von ihrer Leukämieerkrankung erfuhr, beschloss sie tausend Papierkraniche zu falten. In Japan symbolisiert der Kranich Glück und ein langes Leben. Sadako war überzeugt davon, gesund zu werden, wenn sie ihr Ziel erreichen würde. Sie starb, bevor sie ihr Vorhaben abschließen konnte, doch ihre Klassenkameraden führten es für sie zu Ende. 1958 wurde ihr zu Ehren dieses Denkmal errichtet.
Kinderdenkmal zu Ehren von Sadako Sasaki
Es gibt im Park noch viele weitere Denkmäler und Statuen, zudem laden zahlreiche Bänke, zum Beispiel am Ufer mit Blick auf den Atombombendom, zu einer Verschnaufpause und zum Innehalten ein. Ebendiesen besichtigten wir als Nächstes aus der Nähe. Er ist zweifellos das intensivste Mahnmal des zerstörerischen Angriffs. Die Bombe explodierte fast direkt über dem Gebäude und tötete alle Menschen, die sich dort aufhielten, doch das Bauwerk selbst zählt zu den wenigen in der Nähe des Epizentrums, von denen noch etwas übrigblieb. Nach dem Krieg wurde entschieden, dass die Gebäudehülle als Gedenkstätte erhalten werden sollte und sie wurde 1996 zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt. Man vermag sich trotz dieses Mahnmals nicht vorzustellen, was sich hier vor 74 Jahren ereignet hat.
Atombombendom bei Tag

Atombombendom bei Nacht
Um zumindest wieder ein wenig auf andere Gedanken zu kommen, besuchten wir vor unserer Weiterfahrt nach Miyajima noch den kleinen, aber wunderschönen japanischen Garten namens Shukkei-en. Der Name bedeutet „zusammengezogener Blick“. Die nett angelegten Wege führten uns durch verschiedene Bereiche mit unterschiedlichen Aussichten um einen mit Inseln gespickten Teich. Die Anlage wurde beim Atombombenangriff zwar auch zerstört, doch der Park hat seit Langem wieder seine frühere Pracht zurückerlangt. Wir kürten ihn zum bisher schönsten, den wir bisher auf dieser Reise durchschritten hatten.
Shukkei-en 1

Shukkei-en 2
Inzwischen war es 11 Uhr geworden, deshalb gönnten wir uns nur noch einen kurzen Imbiss am Bahnhof, bevor wir in den Zug in Richtung Miyajimaguchi-Bahnhof fuhren, der nur einen kurzen Fußmarsch vom Hafen entfernt liegt, an dem die Fähre zur Insel ablegt. Die Überfahrt dauert nur wenige Minuten und kurz vor der Ankunft erblickt man das Monument, das Touristen anzieht wie Licht Insekten: das zinnoberrote Torii (Schreintor) des Itsukushima-jinja.
Torii des Itsukushima Schreins bei Flut
Konnten wir bisher den Touristenmassen noch recht gut entgehen, war das hier nicht mehr möglich. Ich bin zwar immer der Meinung, dass die schönsten Reiseerinnerungen eher an abgelegenen oder ruhigen Orten fernab der Touristen ihren Ursprung finden, dennoch ließen wir uns die Stimmung nicht vermiesen, schließlich hat es ja einen Grund, warum sich hier diese Massen versammeln. Ganz abgesehen davon sind wir Teil des „Problems“.
Itsukushima-jinja
Der Schrein zählt demnach zu den schönsten und meistfotografierten Motiven des Landes und gehört ebenfalls zum Unesco-Weltkulturerbe. Wir erreichten die Szenerie bei Flut, bei der das Tor auf den Wellen zu treiben scheint. Davon abgesehen lockt Miyajima mit einigen Wanderwegen zum heiligen Berg Misen, Tempeln und frechen Rehen, die sich gänzlich an die Touristen gewöhnt haben und machen, was sie wollen, z. B. Unvorsichtigen Essen oder andere Gegenstände zu stibitzen und zu verzehren.
Reh auf Miyajima
Nach unserer Besichtigung der Umgebung suchten wir die Seilbahn auf, die auf den heiligen, friedvollen und von Primärwald bedeckten Misen hinaufführte. Wir ersparten uns dadurch den recht anstrengenden Aufstieg, wollten den Berg aber zumindest zu Fuß hinabwandern. Oben angekommen tut sich bereits ein wundervoller Blick auf Hiroshima und die umliegende Landschaft auf. Der beste Rundumblick bietet sich jedoch vom Gipfel, zu dem von der Seilbahnstation noch ein etwa 30-minütiger Aufstieg nötig ist. So kamen wir doch noch zu einer Kurzwanderung gemeinsam mit etlichen anderen Besuchern. Auch wenn hier oben noch immer viel los war, tummelten sich merklich weniger Menschen als am Fuße des Berges beim Schrein. Auf dem Gipfel steht eine erhöhte Plattform aus Holz, von der aus sich ein atemberaubender Rundumblick auftat. Spätestens hier stellten wir fest, dass es definitiv die richtige Entscheidung war, hier bei Schönwetter herzukommen.
Blick vom Berg Misen Richtung Süden
Blick Richtung Süden mit Martin, Gianni, Philipp

Blick vom Berg Misen Richtung Hiroshima
Irgendwann mussten wir uns jedoch von der traumhaften Szenerie losreißen und mit dem Abstieg beginnen, da wir rechtzeitig zum Sonnenuntergang wieder beim Schreintor sein wollten. Da die meisten Besucher anscheinend doch mit der Seilbahn den Weg nach unten antreten, waren wir zeitweise ganz allein und vergaßen für einen Augenblick die Massen, was äußerst angenehm war. Jetzt am frühen Abend und bei Ebbe bot das Itsukushima-jinja einen gänzlich anderen Anblick. Plötzlich stand es von Menschen und vereinzelten Rehen umzingelt auf einer gewaltigen Sandbank. Wir mischten uns wieder unter die Massen, schossen die obligatorischen Fotos und genossen die von der untergehenden Sonne erzeugte Stimmung.
Torii des Itsukushima Schreins bei Ebbe
Als die Sonne hinter den Hügeln am Horizont verschwand, verschwanden auch wir mit der Fähre von Miyajima und daraufhin mit dem Zug nach Hiroshima.
Eine Sache fehlte allerdings noch für einen perfekten Tag. Richtig geraten, Sushi. Praktischerweise gab es gleich in Bahnhofnähe ein äußerst gut bewertetes, kleines Restaurant, in dem wir unserer Sucht befriedigen konnten. An der Bar sitzend schreibt man auf Zettel, welches Sushi in welcher Menge man haben will. Es muss nicht weiter erwähnt werden, dass es ein wenig eskalierte und wir für eine Umsatzspitze sorgten. Vollends zufrieden wankten wir zur Straßenbahn, fuhren zum Hotel und dort nur noch ins Bett. Ein perfekter Tag ging zu Ende!
Auch am nächsten Tag bewahrheitete sich die Wettervorhersage, denn es regnete eigentlich den ganzen Tag mehr oder weniger stark. Das störte uns aber ganz und gar nicht, da wir heute ohnehin einen Entspannungstag einlegen wollten. So schliefen wir aus und verließen erst am späteren Vormittag das Hotel, um etwas Essbares aufzusuchen. Auf kulinarisch legte wir eine Art Pause ein, zumindest was die Herkunft der Speise betraf, und gönnten uns eine (im Sinne von insgesamt fünf) Pizzen. Ansonsten besuchten wir nur das wirklich hervorragende Friedensmuseum. Es beherbergt eine Sammlung von Habseligkeiten, die nach dem Atombombenangriff geborgen wurden. Die Exponate sind ergreifend und persönlich (zerrissene Kleider, die geschmolzene Vesperbox eines Kindes, eine Uhr, die um 8:15 Uhr stehen blieb usw.), zudem sind einige erschütternde Fotos zu sehen und man erfährt alles über den Hergang die Folgen des grauenhaften Angriffs.
Den Nachmittag verbrachten wir nur noch einkaufend und blogschreibend, ehe wir am Abend die örtliche Spezialität Okonomiyaki ausprobierten. Hierbei handelt es sich im Grunde um einen dünnen Teig aus Weizenmehl mit Gemüse, Fleisch und anderen Zutaten, belegt oder vermischt und auf einer heißen Platte direkt am eigenen Tisch gebraten. Wirklich hervorragend! Weil wir den Tag noch nicht ganz beenden wollten, gingen wir in eine unweit vom Okonomiyaki-Restaurant gelegene Heavy-Metal-Bar namens Koba. Von außen ist die Bar kaum zu erkennen, man betritt einen nichtssagenden Betonbau und muss sich darin die schmalen Treppen hinauf in den 2. Stock kämpfen. Die Bar selbst ist, zumindest für uns als Rock- und Heavy-Metal-Fans, ein Highlight. Nicht nur wegen der gespielten Musik, sondern vor allem wegen ihres Besitzers „Bom“, der selbst ein totaler Metal-Freak und einfach ein Unikat ist.
Martin, Bom, Gianni, Philipp
Demnach verging der Abend bei etlichen Bieren und Gin Tonics wie im Flug, bis wir irgendwann in der Nacht zufrieden durch den Regen nach Hause torkelten. Morgen werden wir das in vielerlei Hinsicht eindrucksvolle Hiroshima nach Osaka mit Zwischenstopp in Himeji verlassen.

Ausgewählte Kuriositäten:
  • Die verheerende Atombombe, die Hiroshima fast gänzlich vernichtet hat, wurde von einem amerikanischen B-29-Bomber namens "Enola Gay" abgeworfen und hieß selbst "Little Boy".
  • Der Atombombendom (engl. "Atomic Bomb Dome"), heute wohl das bekannteste Friedensdenkmal der Welt, ist immer noch gut erhalten, obwohl die Atombombe im Jahr 1945 in nicht einmal 150 Metern Entfernung detonierte. Über 90% aller anderen Gebäude von Hiroshima wurden dem Erdboden gleichgemacht.
  • Die Insel, auf der der Itsukushima-Schrein steht, galt früher als heilig, weshalb sie von einfachen Bürgern nicht betreten werden durfte. Mönche und Heilige, die die Insel betreten durften, mussten dazu mit einem Boot durch das heute weltbekannte Torii (Schreintor) fahren.
  • Der 535 Meter hohe Berg Misen soll zum ersten Mal angeblich im Jahr 806 vom buddhistischen Mönch Kūkai bestiegen worden sein. Angeblich verbrachte der Mönch 100 Tage am Gipfel des Berges, um asketische Übungen durchzuführen.

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